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Performance

Non-Aligned Newsreels

Mila Turajlić (Belgrad / Paris)

Englisch | mit deutschen Übertiteln | empfohlen ab 16 Jahren

Foto: Manou Broben / Kunstenfestivaldesarts, Bruxelles
Das Bild ist ziemlich dunkel, im Hintergrund ist eine Leinwand zu sehen, auf der ein geteiltes Bild projeziert wird, links sind mehrere Männder in einem Auto zu sehen, daneben ist das Gesicht einer Frau.

Mit dem Zerfall Jugoslawiens geriet auch das Erbe der Bewegung der Blockfreien Staaten (engl. Non-Aligned Movement) in Vergessenheit. Diese internationale Allianz wurde 1961 in Belgrad auf einer Konferenz mit 25 Nationen und 17 Befreiungsbewegungen gegründet, darunter Abgesandte aus Indien, Indonesien, Ägypten und Algerien. Sie verstand sich als Alternative zu den Machtblöcken des Kalten Kriegs, kämpfte für Entkolonialisierung, Abrüstung und Antirassismus – und bleibt dennoch in der westlichen Geschichtsschreibung weitgehend unerwähnt.

Die serbische Künstlerin und Dokumentarfilmerin Mila Turajlić hat 10 Jahre lang die Archive der jugoslawischen Wochenschau (Yugoslav Newsreels) durchforstet – gemeinsam mit Stevan Labudović, Titos langjährigem Kameramann. Die Aufnahmen dokumentieren Titos Reisen nach Afrika und Asien, auf der Suche nach neuen strate gischen Allianzen in einer Epoche voller politischer Umbrüche und globaler Neuorientierung.

Turajlićs dokumentarische Live-Performance ist eine eindringliche Spurensuche im visuellen Gedächtnis des globalen Südens. Sie wird zur Auseinandersetzung mit der Macht der Bilder und ihrer politischen Bedeutung – und eröffnet dekoloniale Perspektiven auf eine Welt im Wandel. Durch die Verbindung historischer Filmaufnahmen mit Zeitzeugenberichten, Tonmitschnitten und privaten Archiven verleiht Turajlić den politischen Utopien und unerfüllten Träumen jener Epoche eine neue Stimme und wirft die Frage auf, wie aus der Erinnerung heraus neue Impulse für internationale Verständigung entstehen können.

Biografie MILA TURAJLIĆ

Aus Belgrad, im einstigen Jugoslawien, stammt die Filmemacherin und Künstlerin Mila Turajlić – eine Spurensucherin der Geschichte. Was als politisches Engagement begann, verwandelte sich in eine künstlerische Praxis: Turajlić fand im Dokumentarfilm ein subversives Werkzeug, um verdrängte Stimmen hörbar zu machen und das Verschwindende festzuhalten, bevor es dem Vergessen anheimfällt.

Ihre Filme entstehen aus Gesprächen, Archiven und gefundenem Material – Fragmente, aus denen sie eine poetische Sprache formt, die Erinnerung und Macht, Ruinen und Utopien miteinander konfrontiert.

Mit Cinema Komunisto (2010) entdeckte sie das Kino als Ort der Ideologie; The Other Side of Everything (2017) verwandelte ein geschlossenes Zimmer in ein politisches Porträt des ganzen Landes. 2022 führte sie Scenes from the Labudović Reels (Non-Aligned & Cine-Guerillas) auf eine archivarische Reise zu den Ursprüngen des Projekts der Dritten Welt – ein filmischer Roadtrip entlang der Nahtlinien einer anderen globalen Geschichte.

Interview mit MILA TURAJLIĆ

Die serbische Filmemacherin Mila Turajlić spricht über ihren Umgang mit Archiven, um über Dekolonisierung, ihre Geschichte und ihre Erzählformen nachzudenken.

Was ist für Sie ein Archiv?

Ein Archiv ist Erinnerung, Identität. Es ist ein Träger von Gedanken. In meinem Land gibt es den Wunsch, Geschichte auszulöschen. Straßen werden umbenannt, Gebäude abgerissen … Für mich ist die Arbeit mit Archiven ein Akt des Widerstands gegen das Vergessen. Meine Arbeit schafft ein Archiv, das – so hoffe ich – meiner Generation und zukünftigen Generationen ermöglichen wird, unsere Geschichten selbst zu kennen.

Warum sind die Archivaufnahmen von Stevan Labudović so besonders?

Weil sie in der Geschichte schweben. Jugoslawien existiert nicht mehr. Der Sozialismus existiert nicht mehr. Diese Bilder sind doppelt verwaist – ideologisch wie politisch. Sie haben ihre Orientierung verloren, so wie das jugoslawische Volk nach dem Zerfall des Landes. Warum wurden damals Bilder des Algerienkriegs gedreht? Ziel war es, einen Dokumentarfilm über die Nationale Befreiungsarmee zu schaffen, der international gezeigt werden sollte, insbesondere bei den Vereinten Nationen – als Teil eines politischen und diplomatischen Kampfes der Blockfreien. Gleichzeitig sollten die Aufnahmen dokumentieren, wie der Befreiungskampf organisiert war, und sie dienten dem Studium von Guerilla-Techniken.

Propagandaarbeit?

Gegenpropaganda. Stevan Labudović verstand sich als Soldat in einem Krieg der Bilder. Ich wiederum wollte den Status dieser Bilder selbst hinterfragen – als Werkzeuge eines politischen Kampfes.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Stevan Labudović beschreiben?

Ich befand mich in einer außergewöhnlichen Situation: Ich arbeitete mit Archivaufnahmen – gemeinsam mit dem Mann, der sie gefilmt hatte. Ohne ihn wäre es sehr schwierig gewesen, diese „verwaisten“ Bilder zu deuten. Er eröffnete mir zudem eine intime, persönliche Perspektive auf den Algerienkrieg. So konnte ich diese Archive mit den Augen und aus dem inneren Engagement des Mannes hinter der Kamera betrachten.

Von welchen Fragen wurde Ihre Arbeit geleitet? Was hätte die Geschichte sonst ausgelöscht?

Meine Arbeit bezieht keine Position. Indem ich mich mit der politischen und aktivistischen Ideologie der blockfreien Länder auseinandergesetzt habe, wollte ich vor allem verstehen, wie wir – wie sie damals – eine dritte Möglichkeit suchen können: einen kritischen Raum zwischen zwei Polen zu öffnen, um eine eigenständige Haltung zu finden.

Interview geführt von Francis Cossu, Juli 2023

Die Bewegung der Blockfreien Staaten

Die Bewegung der Blockfreien Staaten wurde 1961 auf der Belgrader Konferenz gegründet und knüpfte dabei an den Geist und die Dynamik der Bandung-Konferenz von 1955 an. Sie vereinte Länder, die sich nicht der Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges anschließen wollten. Stattdessen setzten sie sich im Kontext der Dekolonisierung für die tatsächliche Unabhängigkeit der Staaten des globalen Südens ein.

An ihrer Gründung nahmen 25 Länder aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten sowie Jugoslawien teil. Bis 2016 war die Mitgliederzahl auf 120 Staaten angewachsen. Auch wenn ihr politischer Einfluss seit dem Ende des Kalten Krieges nachgelassen hat, spielt die Bewegung weiterhin eine bedeutende Rolle. Neue Initiativen, die in der Tradition der globalisierungskritischen Bewegungen stehen, greifen ihre Prinzipien und Kämpfe auf und treten für eine Form der Globalisierung ein, die stärker an den Interessen des globalen Südens orientiert ist.

Quelle: Le Monde diplomatique

Credits

Konzept + Performance + Leitung Mila Turajlić Mitarbeit Konzept Rasha Salti, Katerina Cizek Künstlerische Leitung Barbara Matijević Bühne Vincent Buret Dramaturgische Beratung Rasha Salti | Pascale Cassagnau Deutsche Übertitel Panthea

Produktion cie Par Avion, Théâtre National de Bretagne / Centre Dramatique National, Rennes

Gastspielförderung mit freundlicher Unterstützung des Institut français und des französischen Ministeriums für Kultur

Kreation Festival TNB, Rennes, November 2023

Das Video zeigt Teile des Videomaterials, das Teil der Performance ist.

Gastspielförderung

Mit freundlicher Unterstützung des Institut français und des französischen Ministeriums für Kultur

Hauptförderer

Die euro-scene Leipzig wird institutionell gefördert von der Stadt Leipzig, Kulturamt und durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus. Mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.